Alexander Wrabetz, ORF-GD, und die Zukunft des Fernsehens

Der ORF Generaldirektor Alexander Wrabetz (bis 31. 12. 2021) im TVButler-Interview.

Es geht um die Zukunft des Fernsehens, die unausweichliche Konkurrenz von Free- und Pay-TV und Netflix, als kommenden global player. Und neben vielen weiteren Fragen insbesonders um jene: Was hat eigentlich der ORF-Chef selbst als Kind im TV gesehen?

So oft war ich dort. Am Küniglberg. Dort, wo der öffentlich-rechtliche ORF seine Zelte aufgeschlagen hat. Der ORF ist, was Quote betrifft, Flaggschiff. Doch der Druck steigt. Von Jahr zu Jahr. Zu viele Mitarbeiter oder auch nicht, der Standort als Diskussionspunkt. Das ORF-Radio. Social Media, TVtheken und wie soll's weitergehen?

Der TVButler und der ORF – ein Fragespiel

Der TVButler hat Fragen nach Wien 13 geschickt. Hier die Antworten des Generaldirektors.

Ginge es nach Nicholas Negroponte so hätte das Fernsehen eigentlich schon tot sein sollen. Es lebt munter weiter. Warum eigentlich?

Weil Totgesagte bekanntlich länger leben. Im Ernst: Wir haben für Perspektiven des klassischen Fernsehens im Rahmen unseres Strategieprozesses sehr gründlich untersucht und es hat sich gezeigt, dass das lineare Fernsehen zumindest noch bis ins Jahr 2020 den Medienkonsum prägen wird. Auch die Entwicklung der Nutzungszeiten belegt das, die mit rund 170 Minuten täglich ihren historischen Höchststand erreicht hat. Aber ebenso klar ist auch, dass die zeitunabhängige und mobile Mediennutzung auf mobilen Endgeräten, Smart-TV und VOD-Plattformen rasch an Bedeutung gewinnen werden.

Es gibt einen unübersehbaren Wandel, was Fernsehen betrifft. Vielen Stimmen sagen, dass das lineare Fernsehen bald ausgedient haben werde. Sind die anspruchsvolleren Zuschauer – was das Angebot betrifft – daran schuld, die einfach immer weniger das sehen wollen, was sie vorgesetzt bekommen oder scheitert es an der Kreativität der Fernsehmacher?

Spielentscheidend werden die Inhalte sein. Die raschesten und nutzerfreundlichsten Distributionskanäle sind nutzlos, wenn sie keinen attraktiven Content transportieren. Und genau das ist die Stärke und der Auftrag öffentlich-rechtlicher Medien, wie des ORF: österreichische Information, Unterhaltung und Service, Kultur und Bildung, Sport und Eigenproduktion, vor allem mit Live- und Eventcharakter. Natürlich ist es von zentraler Bedeutung, diese Inhalte auch auf allen neuen Medienplattformen anzubieten. Und der ORF ist hier im Rahmen der engen gesetzlichen Möglichkeiten mit der erfolgreichen TVthek mit monatlich rd. 20 Millionen Videoabrufen, den gut genutzten APPs, die bisher schon rund 3,7 Millionen mal downgeloadet wurden, oder unserem jüngsten Projekt einer eigenen, österreichischen VOD-Plattform auf einem sehr guten Weg.

Das Damoklesschwert der Quote

Wie wichtig ist für Sie der Wert der Quote. Als öffentlich-rechtliche Anstalt könnten Sie wesentlich mehr auf Programm mit Anspruch setzen. Oder gibt es einfach zu wenige Zuschauer, die dem Anspruch gerecht werden?

Sie unterschätzen unser Publikum. Qualität und Quote hängen eng miteinander zusammen und sind kein Gegensatzpaar. Alle unsere Programme bieten in ihrem Genre öffentlich-rechtliche Programmqualität und unser Publikum schätzt das. Trotz der allgemeinen Fragmentierung des Marktes und des explodierenden Angebots ist der ORF mit 35,8 % TV-Marktanteil, 74 % Marktanteil der ORF-Radios und 60 Millionen Visits im Online-Bereich klarer Marktführer. Täglich sehen mehr als 2 Millionen unsere ZiBs. Filme wie Hanekes „Amour" erreichen rund 500.000 Seherinnen und Seher und mehr als 300.000 haben diesen Sommer „Il trovatore" aus Salzburg gesehen. Solche Erfolge sind nur in einem massenattraktiven Programmumfeld möglich. Öffentlich-rechtliche Medien dürfen sich nicht auf Nischenprogramme reduzieren lassen, wie das unsere Mitbewerber gerne hätten. Sie könnten dann ihre integrative Funktion für die Gesellschaft nicht mehr erfüllen.

Sieht optimistisch in die Zukunft, was das Haus ORF betrifft. GD Aleander Wrabetz. Bild: ORF

Sieht optimistisch in die Zukunft, was das Haus ORF betrifft. GD Aleander Wrabetz. Bild: ORF

GD Aleander Wrabetz und Kathi Zechner: Chef – Unterhalterin. Bild: ORF

GD Aleander Wrabetz und Kathi Zechner: Chef – Unterhalterin. Bild: ORF

Ist da so etwas wie Schieflage erkennbar? Alexander Wrabetz präsentiert das Programm 2015. Bild: ORF

Ist da so etwas wie Schieflage erkennbar? Alexander Wrabetz präsentiert das Programm 2015. Bild: ORF

Die Jugend, die Selbstbestimmtheit und oder doch Netflix?

 

Wie sieht eigentlich der typische ORF-Seher aus? Zum Beispiel bei ORF2 oder ORF III?

Den typischen ORF-Seher bzw. die typische ORF-Seherin gibt es nicht, da alle Österreicherinnen und Österreicher unsere Programme nutzen. Jeder sucht sich das heraus, was ihn interessiert und dieser Trend wird sich in Zukunft weiter verstärken. Wir versuchen unsere Senderfamilien in Radio und Fernsehen sowie unser Online-Angebot so zu positionieren, dass alle Zielgruppen ihre Programme finden. Zuletzt ist uns mit ORFIII und ORF-Sport plus im Fernsehen ein wichtiger Entwicklungsschritt gelungen.

Niemand muss fernsehen. Und dennoch steigt die Anzahl von Programmen kontinuierlich. Die Jungen setzen schon lange auf selbstbestimmtes Fernsehen. Wie und womit treten Sie dieser begehrten Zielgruppe entgegen?


Der ORF ist hier an sich sehr gut aufgestellt und ist auch im Vergleich mit anderen öffentlich-rechtlichen Sendern in den jungen Zielgruppen sehr stark. Im Fernsehen sind wir hier vor allem mit ORFeins mit einem Marktanteil von rund 16% in den jungen Zielgruppen recht erfolgreich, im Radio decken Ö3 und FM4 die Interessen der Jungen sehr gut ab und dazu kommen neue Angebote wie die schon erwähnte TVthek oder die APPs, die sehr gut ebenfalls genutzt werden. Aber ich stimme Ihnen zu: Das junge Publikum ist das kritischste und das mobilste und es will begeistert werden.

Derzeit scheint es einen wahren Serien-Boom zu geben. Gut gemachte Serien von HBO fesseln immer mehr Menschen. Jetzt kommt auch noch Netflix, ein Streaming-Angebot für Film und Serien. Der ORF ist offenbar an flimmit interessiert. Was kann flimmit, was der ORF nicht selbst auch kann? Eine Antwort auf den US-Riesen?

Wir haben uns am heimischen Startup Flimmit beteiligt, weil hier genau das Knowhow im VOD-Bereich vorhanden ist, das unsere Unternehmensstrategie in diesem Bereich perfekt ergänzt. Diese Online-Videothek soll ein Feinkostladen für österreichische, deutschsprachige und europäische Qualitätsproduktionen werden und nächstes Jahr starten. Flimmit ist selbstverständlich keine Konkurrenz zum Weltmarktführer Netflix, aber wir haben einen Fuß in diesen Markt gesetzt.

Wie versuchen Sie Social Media, Internet, VoD und Second Screen unter einen Hut zu bringen. Wie geht da die Weg-vom-back-lean-Strategie gegen eine immer stärker werdende Konkurrenz?


Ich habe vor zwei Jahren in der Fortführung unseres 2007 begonnenen Strategieprozesses das Projekt ORF 2020 gestartet und wir haben die programmlichen, technologischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den ORF im Rahmen dieses Projekts unter Einbeziehung internationaler Experten genau analysiert. Die zentralen Ergebnisse: Wir müssen uns auf unsere Kernkompetenzen Information, Kultur und Bildung, Unterhaltung und Service und Sport fokussieren, wir müssen diese Genres quer über alle Medienplattformen besetzen und unsere Produktionsstrukturen entsprechend weiterentwickeln. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung dieser Strategie: Das reicht von der Neukonzeptionierung des Wiener ORF-Standortes bis hin zu den schon besprochenen Innovationen wie der TVthek, unseren APPs oder unserem Flimmit-Projekt.

Der Ausbau des ORF und wohin geht eigentlich die Reise?

 

Auch der ORF hat in den letzten Jahren das Portfolio an Sendern erweitert. Warum soll ein weiterer TV-Kanal zB. ORF IV oder Radio-Sender 21FM oder so ähnlich für Sie Sinn machen?

Weil wir unsere Programme möglichst zielgruppengerecht anbieten müssen. Wo es Sinn macht und gesetzlich möglich ist, werden wir das auch im Rahmen neuer Spartenkanäle tun.

Jeder privat-geführte Sender setzt in letzter Zeit vermehrt auf exklusiven Inhalt und auf Live-Events im Sport. Ist der Anteil der ORF-Eigenproduktionen noch steuerbar bzw. sind die Kosten für Sport-Großereignisse noch leistbar?

Es stimmt, dass Sportrechte ein echter Kostenfaktor sind. Aber der ORF ist als kompetenter Partner geschätzt und wir können unserem Publikum in den nächsten Jahren alle wesentlichen Sportevents anbieten.

Wie wird aus Ihrer Sicht das Fernsehen in fünf Jahren ausschauen. Kann man da überhaupt noch Prognosen machen?

Auch in fünf Jahren wird das lineare Fernsehen den Medienkonsum prägen. Das ist unter Berücksichtigung aller heute bekannten Faktoren sicher.

Und wie könnte sie ausschauen, die Fernseh-Zukunft? Wird es ein Fernsehen für alle sein, auch im Sinne der Accessibilty?

Solange es Öffentlich-rechtliche, wie den ORF gibt, natürlich.

 

Wrabetz privat

 

Von der Zukunft in die Vergangenheit. Wer waren Ihre ersten TV-Helden?

Hugo Portisch und „Fury"!

Letzte Frage: Wie sind Sie eigentlich zum Fernsehen gekommen?

Ich hab mich immer für Medien und den ORF interessiert. Gleich nach dem Studium war ich einige Zeit freier Mitarbeiter im Radio, Generalintendant Gerhard Weis hat mich dann 1998 als Kaufmännischer Direktor in die ORF-Geschäftsführung geholt.

 

Zur Person:

 

Dr. Alexander Wrabetz (21. März 1960 in Wien) ist Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks (ORF), Mitglied des Executive Board der European Broadcasting Union, SPÖ-Mitglied und ehemaliger Bundesvorsitzender des Verbandes Sozialistischer Studenten Österreichs.
Alexander Wrabetz
ist mit der Allgemein- und Sportmedizinerin Petra Wrabetz verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne (* 1988 und 1991) und eine Tochter (* 1993).

Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!