IP-Chef Walter Zinggl im Big Talk

Die Zukunft des Fernsehens

Walter Zinggl interviewt vom TVButler. Er, der IP-Austria-Chef. Wien, 1060. Gumpendorfer Straße. Aufzug, Dachgeschoß, gläsernes Büro. Offen, auch die Stimmung ... Im Gespräch mit einem, für den Steirerblut kein Himbeersaft ist. Einer, der was gelernt hat. W, wie Werber. Und, der zu Recht stolz darauf ist. Also haben wir fast eine Stunde geplaudert. Über die Medien halt. Eigentlich sind das fast 20 DIN-A4-Seiten. Sie müssen das nicht unbedingt zu Ende lesen. Oder, Sie nehmen sich einfach die Zeit ...

IP-Austria-Chef Walter Zinggl. Bild: Walter Screens

Die Einstiegsfrage, die ich bis jetzt jedem Vertreter der Medienhäuser gestellt habe, ist simpel: Warum ist das Fernsehen nicht tot? Warum irren die Zukunftsforscher?
(lacht) Prinzipiell, weil noch kein einziges Medium gestorben ist. Es soll ja auch noch Bücher geben. Und Menschen, die behaupten, dass die gotische Kathedralen, die nach Expertenmeinung ja auch ein Medium der damaligen Zeit darstellen, auch noch stehen und wirken. Die Botschaft, dass Medien und insbesondere TV sterben, ist einfach zu demaskieren, wenn man sich anschaut, wer diese Botschaften sendet.

Wer sind die Sender, die Botschafter?
Vor fünf, zehn, fünfzehn Jahren war auch in Verbindung mit Werbung alles bald tot gesagt, das wurde gesendet von Menschen mit einer gewissen Absicht. Und die, die damals gesendet haben, hatten ja eine einzige Intention, um ihre Aufmerksamkeit auf ihr neues Medium zu lenken – online und später dann social networks (früher auch „web2.0" genannt).

Okay, aber warum stimmt's nicht?
Warum das alles nicht stimmt, da gibt es zwei Ansätze: der eine, dass der Umgang des Zusehers und die Wirkung auf den Zuseher / die Zuseherin bei Fernsehen eine Einzigartige ist. Die einzige Mediennutzung, die auf das menschliche Auge und dahinterliegend auf das menschliche Hirn Einfluss hat, ist Fernsehen. Das ist eine physiologische Wirkung - und Geschichte. Der andere ist, dass mit Fernsehen, gerade im Bereich Free-TV - in seiner linearen Form - ein Bedürfnis befriedigt wird. Und das ist schlichtweg, es informiert, unterhaltet, schockt und ist letztendlich so etwas wie ein Lagerfeuer-Ersatz. Und noch etwas: Berieselung ist das nicht, Berieselung hat einen abschätzigen Beigeschmack.

Was ist der Reiz fernzusehen?
Ausspannen, durchaus sich zu informieren, durchaus sich auch weiterzubilden. Mit Freunden, in der Familie, mit Partnern. Ich bin grundsätzlich skeptisch, wenn jemand sagt, das Medium wird es bald nicht mehr geben. Radio kills the video star etc. hat ja alles nicht wirklich stattgefunden. Auch die Vinyl-Platte erlebt ja mittlerweile wieder ein Revival. Weil das hat eine für einige Nutzer Qualität, die hat ein mp3-file nicht.

Also wird Fernsehen weiterleben?
Fernsehen vereinigt die vielen einzelnen Qualitäten der anderen Medien. Ich habe halt das bewegte Bild, den Ton, HD-Möglichkeiten, 4K, 8K, 16 K und was auch immer – und es wird weitergehen. Auch in den nächsten 15 Jahren. Auch beim „non-linearen-TV-Konsum". Das Fernsehen hat sich angepasst wie kaum ein anderes Medium. Der Print-Sektor ist nach wie vor auf der Suche nach einem Geschäftsmodell, wie sie ihre ursprünglichen Medien online erweitern können.

Ja, da dreht sich viel ums liebe Geld ...
Im Fernsehen ist Werbung selbstverständlich – und trägt auch noch zur Befriedigung der Bedürfnisse bei.

Der Vorteil von online, wenn es einen gibt?
Wenn ich den Inhalt, der mich interessiert hätte, versäumt habe, dann schaue ich mir das halt online an. Das trifft die Sache ziemlich am Punkt.

Porträt: Walter Zinggl. Bild: Walter Screens

Medienpolitik in Österreich: „Es gibt sie maximal zweimal im Jahr. Einmal, wenn es um die Geschäftsführung im ORF geht und dann, wenn es um die Presseförderung geht.“
Walter Zinggl im Interview. Bild: IP / Walter Screens

 

Wohin führt der mediale Weg?

Sind die Medien im Umbruch?
Aber na, ich habe auch noch im Kopf, wie man mir in den 90ern erklärt hat, die Zeitungen sterben, und jeder wird in 10 Jahren sein eigener Chefredakteur. Heha! Ich bin Werber und kein Chefredakteur. Es gibt Billa-Kassierinnen und Ingenieure, die wollen alles andere sein - nur  nicht Chefredakteur - und auch im Fernsehen kein Programm-Direktor. Daher sind ja auch online die Medien, die „my own newspaper" anbieten Makulatur - es zählt auch online die redaktionell aufbereitete Übersicht. Vor allem, weil sich Mediennutzer auch einmal durch eine headline, ein Photo o.a. in ein Thema „hineinziehen" lassen wollen, dass auch abseits ihrer bevorzugten Themen liegt.

Wird für Sie das Internet zur Gefahr?
Internet ist in diesem Zusammenhang kein Medium, Internet ist eine Plattform. Ein Transportkanal. Das ist kein eigenständiges Medium. Das Modell: du lieber Konsument, dem ich den Inhalt gratis zur Verfügung stelle, musst aber schon akzeptieren, dass ich dir dafür Werbung zur Verfügung stelle, funktioniert mittlerweile ja großartig. Nur: würden wir ausschließlich für online Content zur Verfügung stellen, würde dies wohl nicht funktionieren.

Geht man im Internet neue Wege?
Der Content, der ausschließlich für online produziert wird, der unterscheidet sich schon vom Herkömmlichen. Das ist halt Schmalspur. Was nicht bedeutet, dass er nicht auch seinen Seher findet. So wie youtube es uns zeigt. Da Internet weltweit ist. Und wenn's passt, kann man dort auch etwas an Geld verdienen. Es ist aber nicht das Modell eines Massenmediums.

Was ist das Internet für Sie?
Das Internet? Man muss versuchen, das zu verstehen, zu verifizieren. 80 Prozent sind E-mail-Verkehr. 67 Prozent der Österreicher, so jüngste Aussagen, sind mobil im Internet. Ja, aber was tun sie? Mail senden, lesen, weiterverschicken. Der oder die verwendet den Kommunikationskanal, den das Internet zur Verfügung stellt, um seine Mails zu schreiben. Wurscht ob beruflich oder privat.

Also keine Gefahr?
Die Mediennutzung im Internet ist eine ganz andere Frage. Und da muss man – auch wenn man sich die Zahlen ansieht – immer auf 14 Tage aufkumulieren. Und wenn ich jetzt eine Million Reichweite in 14 Tagen im Online-Bereich nehme, dann habe ich das mit RTL oder VOX an einem Abend. Und der ORF kriegt da ohnehin einen Lachanfall. Das hat er in Spitzenzeiten mit dreißig-Minütigen Sendungen.

Also medial gesehen ein Irrläufer?
Was wird denn da hochgejubelt? Das ist ja nicht zum raschen Reichweitenaufbau durch Mediennutzung geeignet. Online-Nutzung von Medien hat natürlich Vorteile: das Grenzenlose in Bezug auf Territorium und Zeit. Fernsehen ist regulatorisch, terretorial und sprachlich mit Restriktionen verbunden. Online habe ich die ganze Welt. Vorteil des Konsumenten: ich ziehe Inhalte, wann ich sie haben möchte. Dies ist natürlich ein Nachteil für jedes werbefinanzierte Geschäftsmodell.

Ist das werbefinanzierte Modell im Online zu vernachlässigen?
Bei uns ist es relativ simpel. 98 Prozent der Inhalte sind auf vernünftigen Profit gebaut. Für uns ist das Verhalten der Konsumenten mit all den technischen Möglichkeiten etwas, das ganz einfach schon vorfinanziert wurde – durch die Nutzung im TV und die dort vermarktete Werbung. Das können wir nochmals zur Verfügung stellen und nochmals vermarkten. Und das schaffen wir allemal.

Gegen wen kämpft man im Internet an?

Der ORF ist der einzige, der schon ein Gebühren-Modell hat. Drei Viertel ist durch Gebühren vorfinanziert. Dadurch sind natürlich auch alle anderen Marktteilnehmer in Österreich zur Gratiskultur „verpflichtet" – oder würden Sie zur Information über das Tagesgeschehen über eine „paywall" eines Onlineangebots einer z.B.: Tageszeitung steigen, wenn sie das auf orf.at gratis bekommen? Aber das ist natürlich ein medienpolitisches Thema: was will die Gesellschaft von einer öffentlich-rechtlichen Medienanstalt, wie ist der Auftrag, wo liegt die Abgrenzung zum Markt (falls man einen solchen haben will). Und übrigens: Medienpolitik ist ein facettenreiches Thema in Österreich. Tatsache ist, dass Medienpolitik in Österreich ja nicht stattfindet. Es gibt sie maximal zweimal im Jahr. Einmal, wenn es um die Geschäftsführung im ORF geht und dann, wenn es um die Presseförderung geht.

Man hat versucht den ORF im Bereich Facebook zu bremsen ...
Die Social-media-network-Verbote sind für einen denkenden Menschen schwierig nachzuvollziehen. Nämlich auf einer medien-politischen Ebenen könnte man sagen: der ORF soll nicht dazu beitragen, Facebook-Profit zu steigern. Das wäre ein medienpolitischer Ansatz (zugegeben brachial) , und ich zweifle nicht daran, dass sich Facebook darüber nicht den Kopf zerbrechen würde ...

Was raus gekommen ist, ist Nonsens?

Alles hinkt, weil wir uns nicht durchringen können, eine Debatte zu führen, was wollen wir von einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Inklusive Online-Auftritt. Und wie stellen wir sicher, dass eine privatwirtschaftliche Medienwelt daneben existieren kann?

Wo liegt der Vorteil beim ORF?
Bei einer Milliarde bin ich nicht auf das linke Viertel angewiesen. orf.at ist definitiv ein gut gemachtes online-Portal. Dass der ORF uns (aber vor allem die Printverlage) damit behindert ist auch klar. Warum soll der User auf verschiedensten Plattformen etwas bezahlen, was er von ORF on gratis bekommt. Das wäre wohl ein Hohn. Jeder privat mediale Online-Anbieter ist mit der Tatsache konfrontiert, dass der stärkste Online-Anbieter seine Inhalte gebührenfinanziert gratis zur Verfügung stellt. Und dennoch: ORF.on besticht mit einer extremen Breite und Tiefe. Das ist schon gut gemacht. Keine Frage.

Können Bezahl-Projekte so gesehen überhaupt funktionieren?
Da bin ich durchaus gespannt, wie das NZZ.at-Portal funktioniert. Man ist bereit, zu bezahlen. Aber eines ist kurios: In dem Moment, wo wir auf dem Tablet unterwegs sind, fällt der Widerstand gegen die Bezahlschranke. Auf der anderen Seite sieht's so aus: Wie schon die Frau Dichand einmal gemeint hat: „Ich bin im Printbereich ein Gratismedium, warum soll man da im Online bezahlen. Das ist ein Widerspruch in sich." Die Frage stellt sich also, wenn der Konsument auf vielen Plätzen die idente Information gratis bekommt, warum sollte er dafür bezahlen?

Also kein Geschäftsmodell?
In dem Moment, wo der Konsument einen Mehrwert verspürt, weil er das Gefühl hat, dass er das haben will, ist man bereit zu bezahlen. Modelle wie die New York Times scheinen ja durchaus zu funktionieren. Ich meine, wenn man als Medium den Markt neu betritt, muss man sich gut überlegen, wo die Chancen eines Geschäftsmodells sind.

Porträt Walter Zinggl. Bild: Walter Screens

Über Social Media, YouTube, Google und Co: „Wir stellen unsere Nutzungszahlen zur Verfügung. Und diese Zahlen sind objektivierbar und keine ,Eigenangaben'. Sonst würde uns jeder Kunde vom Verhandlungstisch jagen.“ Walter Zinggl im Interview. Bild: IP / Walter Screens

 

Liegt die Werbezukunft auch im Streamen?

So wie bei Netflix? Modell mit Chancen?
Der ursprüngliche Erfolg von Netflix auf dem US-Markt war deshalb möglich, weil die Free-TV-Landschaft in den US so ist, wie sie ist. Ständige Wiederholungen, ständige Werbeunterbrechungen, das hält man als Mitteleuropäer einfach nicht aus. Net bös' sein! Im deutschsprachigen Raum, wo sich die Fernsehlandschaft so bunt und vielfältig wie in keinem anderen Sprachraum entwickelt hat, hat es Netflix schwer, das ist relativ überschaubar. Binge-Viewing, der ultimative Vorteil, wenn man sich 25 Folgen in Folge reinziehen kann. Dennoch: Gesetzesfürchtige Bürger, die bereit sind, zusätzlich nochmal fürs Fernsehen zu bezahlen, muss man finden. Und das Netflix-Angebot ist ja auch kein neues: Sky bearbeitet diesen Markt sehr erfolgreich seit Jahren. Ein unbestelltes Feld ist leicht zu beackern, siehe USA.

Netflix ist da.
Wir begrüßen jeden Kunden, der Werbegeld bezahlt. Aber so leicht wird es Netflix nicht haben.

Wie ist es um den Werbemarkt bestellt?

Wer die meisten Zuschauer hat, hat das meiste Geld. IP Austria (Österreich-Vermarkter der RTL-Gruppe, Anm.) ist bei den Vertretern der größten Sender an dritter Stelle. Nach ORF und der Sevenone-Gruppe. ATV liegt in Summe zwischen vier und fünf Prozent. Relativ abgeschlagen auf Platz vier, und ServusTV mit 1-2 Prozent nochmals deutlich darunter. Es gibt durchaus Sympathie vom Werbemarkt, dass es drei Große gibt und nicht zwei. Man verhandelt sich besser.

Hoffnung in die Zukunft?
Medientechnisch schaut die Welt ganz anders aus. Fernsehen auf der ganzen Welt hat sich eine gewisse Position erarbeitet. In Österreich ist der größte Gegner, nein das klingt so martialisch, der größte Mitbewerber mit 54 Prozent Print. Wenn wir wachsen wollen, ist es besser Print abzugraben. Global im Werbemarkt: die digitalen und globalen  Medien (z.B.: Google, facebook, etc.), die den Zwang haben, sich umsatzmäßig im zweistelligen Bereich zu steigern.

Wirkstoff TV, wie argumentiert man das?
Wir müssen darauf hinweisen, woher wissen wir, dass Facebook & Co so viele Nutzer haben? Wir lassen uns messen. Google, YouTube, Facebook, Twitter, nein, hier bekommen Sie keine objektiven Zahlen in Österreich – und auch nicht auf globaler Basis. Und das finden wir unfair. Wir stellen unsere Nutzungszahlen zur Verfügung. Und diese Zahlen sind objektivierbar und keine „Eigenangaben". Sonst würde uns jeder Kunde vom Verhandlungstisch jagen.

Werben Sie selbst auf den oben genannten Plattformen?
Nein, wir natürlich nicht. Aber Sie finden Ausschnitte aus unseren TV-Sendungen. YouTube sagt, das haben nicht wir hochgeladen. Wir verhandeln, wie alle anderen auch, um vom Werbekuchen etwas abzubekommen, aber das ist schwierig. Dutch-Irish-Sandwich-Gschichtln halt.

Plant IP neue Österreich-Fenster?
Wir haben heuer Ende Oktober zwei neue Sender in die Vermarktung genommen um neue Werbe-Kontakte zu generieren: RTL NITRO ist einer davon. Thema Programmfenster, wenn ich österreichisches Programm ausstrahle, fällt das ja auch nicht vom Himmel - und es stellt sich die Frage, ob ich durch Werbeerlöse mir das leisten kann? Habe ich einen leichten Profitaufschlag oder nicht?

Wie sind Sie eigentlich zum Fernsehen gekommen?
Ich bin überhaupt nicht zum Fernsehen gekommen. Ich bin ein gelernter Werber. Nachdem ich 1981 bei der ersten Werbeagentur begonnen habe, habe nach neun Jahren als Geschäftsführer die Firma übernommen. Anschließend war ich 21 Jahre im Agenturgeschäft. Dann kam der Ruf der ORF-Enterprise in die Vermarktung (also auf eine andere Seite des Dreiecks „Werbetreibender – Agentur – Medium"), wo ich auch einige Jahre tätig war. Ich war aber immer der Überzeugung, dass ich ein Vermarkter bin. Ich hab das Fernsehhandwerk nicht erlernt.

Sie haben dennoch die Fronten gewechselt ...
Nach der Enterprise bin ich wieder zur Agentur Maxus gewechselt. Es waren drei tolle Jahre. Dann kam das IP-Angebot. Ich nagte und nage nicht am Hungertuch, keine Angst. Aber die Herausforderung, die IP zu machen hatte einen besonderen Reiz. Aber nochmals, ich bin kein Fernsehmacher.

Wer waren Ihre ersten Fernseh-Helden?
Ich bin 1962 geboren worden. Der erste Fernsehkontakt war definitiv Schwarz-weiß. Mein Gott, womit bin ich aufgewachsen? Flipper, Daktari, Bonanza. Jason King, Department M. Karl Moik hat mich nicht so interessiert. Im Gymnasium war ich schon ein Anhänger des Club 2 mit all den Skandalsendungen. Spezieller Moment heuer bei den Medientagen, wo wir auf den Originalmöbeln der Club 2-Ausstattung gesessen sind. Das hat schon etwas gehabt.

Zu Walter Zinggl:

Walter Zinggl ist Chef der RTL-Vermarktungstochter IP Österreich. Zinggl war seit Juni 2010 CEO der Mediaagentur Maxus. Von 2002 an leitete er sieben Jahre lang als Geschäftsführer die ORF-Enterprise.