Gedanken für den Tag Friederike Mayröcker ist der Frühling
Sa, 21.12. | 6:57-7:00 | Ö1
Am 4. Juni 2021 ging das Leben von Friederike Mayröcker zu Ende. Ihr Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof war eines der tröstlichsten, die ich je erlebt habe. Ich kann nicht vergessen, wie wir sie alle, der lange Leichenzug, zu den Klängen des Songs „What a woderful world“ zum Grab begleiteten, in dem sie mit Ernst Jandl vereint ist. Zuvor hat ihr Dichterfreund Marcel Beyer seine Trauerrede mit den Worten geschlossen: „Und ich bin ein Frühling“, hat sie vor wenigen Wochen gesagt, in den Sommer hinein. „Und ich bin ein Frühling.“ Liebe Friederike, ja, du wirst immer ein Frühling bleiben, für uns, die wir nun ohne dich in den Herbst und den Winter gehen müssen.Jetzt ist schon der dritte Winter, in den wir ohne Friederike Mayröcker gehen müssen. Aber seltsam – für mich ist sie in gewisser Weise immer noch da. Nicht nur in ihren Texten, manchmal höre ich ihre Stimme oder meine ihre Gegenwart zu spüren. Und jetzt fällt mir auch unser erstes Gespräch im Dezember 2001 wieder ein, denn wir trafen uns wenige Tage vor Weihnachten. Ich sprach sie auf den Text „Augenfalle“ in den „Magischen Blättern“ an, in dem es heißt: „Ein Winterhaus mit chinesisch gekreppten Fenstern, die Freude, die Wärme im Haus, viel Licht und Ruhe, Geborgenheit, draußen Stille und Schnee, innen Ruhe und Paradies, vielleicht eine Woche vor Weihnachten."Friederike Mayröcker wies mich darauf hin, dass sie da aus einem Brief der Malerin Daniela Rustin zitiert hatte. Also fragte ich sie, ob sie dem Weihnachtsfest diese Kraft der Ruhe und Stille noch zutraute. Nachdenklich sagte sie: "Das Weihnachtsfest? Ja, ich frag mich jeden Tag jetzt, wo es wieder auf Weihnachten zugeht, ich frage mich jeden Tag: Ist das nur noch ein Nachspielen einer Sache, die man von früher her kennt oder ist da noch etwas, was wirklich in einem noch lebt oder denkt, und ich komm da auf keine Antwort.“
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