GEO Reportage Georgien: Die schwebenden Särge

Sa, 18.01.  |  8:30-9:25  |  ARTE
Untertitel/VT Zweikanalton  Ratgeber, 2016
Wer in Tschiatura zur Arbeit fährt, braucht gute Nerven. Das Seilbahnnetz, das das georgische Bergarbeiterstädtchen im Kaukasus durchzieht, dürfte zu den furchterregendsten der Welt gehören. Doch ohne seine Gondeln wäre der kleine Ort nicht lebensfähig. „GEO Reportage“ hat den Ort besucht.

Das Seilbahnnetz, das das georgische Bergarbeiterstädtchen Tschiatura im Kaukasus durchzieht, zählt zu den marodesten der Welt. Zur industriellen Blütezeit des Ortes in den 1950er und 1960er Jahren erbaut, gleiten sie noch heute in schwindelerregender Höhe knarzend über steile Abhänge, tiefe Schluchten und die Dächer des Ortes. Als einziges öffentliches Transportmittel prägen sie den Alltag der rund 16.000 Einwohner. Zugleich sind die Seilbahnen existenziell für den Betrieb der nahegelegenen Manganmine, den größten Arbeitgeber in der Region. Nun sollen die Gondeln durch neue Modelle ersetzt werden.
Einmal pro Woche klettert der Mechaniker Amiran Bareladze auf das Dach der Gondeln und ölt in voller Fahrt die Rollen der Seilbahn. In schwindelerregender Höhe schwebt er über die Stadt Tschiatura, deren Einwohner ihre Seilbahnen im Scherz „metallene Särge“ nennen. Für sie sind sie trotzdem das Nahverkehrsmittel schlechthin. Die Stützen, Masten, Laufwerke, Aufhängungen, Rollen und Seile der gesamten Anlage gehen zurück bis in die 1950er Jahre, als Georgien noch zur Sowjetunion gehörte, die dort große Mengen Manganerz fördern ließ. Stalin hatte das Transportnetz für Mensch und Material spannen lassen, um zu demonstrieren, dass sowjetische Ingenieurskunst imstande wäre, selbst die widrigen geografischen Gegebenheiten der von steilen Hängen und tiefen Einkerbungen durchschnittenen Stadt zu überwinden.
Die meisten Gondeln sind inzwischen dem Rost zum Opfer gefallen, doch einige wenige Linien machen weiterhin ihren Dienst. Nun plant der Gouverneur der Region eine Modernisierung der Seilbahnen - ein Vorhaben, das von den Einwohnern mit einer Mischung aus Euphorie und Sorge gesehen wird. Einerseits bewegt sich der Ort damit in Richtung Zukunft, andererseits könnten Arbeitsplätze wie der von Amiran Bareladze abgebaut werden. Und ob die Fahrt für die Einwohner dann weiterhin kostenlos bleibt, ist ebenfalls fraglich.

„GEO Reportage“ präsentiert außergewöhnliche Menschen rund um den Globus.

Regie: Manuel Fenn

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