Le week-end Tafelmusik für Wagemutige
Sa, 25.01. | 13:00-14:00 | Ö1
Mit Musik von Heinrich Ignaz Franz von Biber, Anita O’Day, Leonard Bernstein, dem Kronos Quartett, einem frühbarocken Anonymus und anderen.Wir starten mit einem Amuse Gueule gespickt mit intrikaten Geschmacksexplosionen, und zur stilechten akustischen Begleitung empfiehlt unser Chef de Cuisine ausgerechnet das Kronos Quartet, denn immerhin heißt es in le week-end heute: „Tafelmusik für Wagemutige“. Wie sehr diese Tischrunde das wirklich ist, zeigt sich, wenn dieses exemplarisch wagemutige Tafelmusik-Streichquartett zum ersten Gang Musik aus den frühen 1950er Jahren von Raymond Scott intoniert. Musik mit dem anregenden Titel „Dinner Music for a Pack of Hungry Cannibals."Gegessen, und zwar auch musikalisch gegessen, wird aber schon ein paar Jahrhunderte länger. Geht man in Wien in eine kleine Zweigstelle des Wien Museums, nämlich zu den sogenannten Neidhart-Fresken in den Tuchlauben, wird das nicht nur hör-, sondern auch sichtbar. Um 1400 ließ sich da ein betuchter Wiener Bürger einen privaten Tanzsaal mit Fresken ausmalen. Erstaunlicherweise mit einem Bilderzyklus, der sich auf Songs bezieht, die damals auch schon an die zweihundert Jahre alt waren. Das ist in einer mittelalterlichen Kultur, der Musealisierung ein Fremdwort ist, wahrlich erstaunlich. Anders gesagt: Der Autor dieser Lieder muss unfassbar populär gewesen sein, kurz gesagt: ein Popstar für Jahrhunderte. Sein Name: Neidhart. Lange Zeit, wenn auch auf Grund eines philologischen Irrtums, genannt: Neidhardt von Reuental. Seine Lebenszeit: Circa 1185 bis circa 1240. Neidharts Markenzeichen: Verstecke deine bösartige Gesellschaftskritik an jenen aufgeblasenen Adelskreisen, in deren Dienst Du stehst, in einer sozialen Verschiebung, lass vermeintliche Bauerntölpel tun, was die Hochwohlgeborenen alles anstellen. Und da gehts bei Neidhart ans Eingemachte: Sex, Drugs and Rock’n Roll. Allerdings: Stets im Gewande der zeitgenössischen, sprich um 1200 üblichen, musikalisch dezenten Minnelyrik. Die Wiener Neidhart-Fresken sind da auch sehr explizit, mit der dezenten Bezeichnung "der kühne Griff“ versehen ist eine Szene, die letztendlich eine Vergewaltigung andeutet: die eine männliche Hand am Busen, die andere unter dem Rock des hingestreckten Mädchens. Die finalen Szenen dieses auf Neidhart bezogenen Wiener Freskenzyklus aus 1400 zeigen ein Festmahl mit dazugehörigem Tanzvergnügen. Und davon erzählt Neidhart auch in seinem Song „Sinc an, guldin huon!“, „Sing los, goldenes Huhn“. Dieses Huhn bleibt trotz des Festmahls metaphorisch, es landet nicht gleich im Kochtopf. „Horch hin! Ich höre Tanz in der Stube. Ihr Burschen, vorwärts mit euch! Da ist ein ganzer Schwarm Dorfmädchen.“ Im Neidhartschen Original: „Los uzi! ich hoer in der stuben tanzen. junge man, tuot iuch dan! da ist der dorefwibe ein michel trünne.“ Und nun ist kein Halten mehr, das Mahl ist vorbei, die Disco in vollem Gange: „Räumt die Hocker und die Sessel raus! Lasst die Tische forttragen!“ Und nochmals im mittelhochdeutschen Original: „Rumet uz die schämel und die stüele! heiz die schragen vuder tragen!“
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